Werbeliner See, 10.06.2017

04:45 Uhr – 07:15 Uhr.
14° C, sonnig, wenig Wind.
Der Vogelgesang am Morgen hat nicht mehr die Intensität und Dichte wie noch vor zwei Wochen, es ist schon wieder stiller geworden. Heute will ich die Goldammer aufnehmen, endlich. Goldammer, der gelbe Vogel, Sonnenvogel, Sommervogel, der noch in der Mittagshitze singt, am Wegrand von der Spitze eines Weißdorns herab, während ein Wanderer daneben rastet. So war das mal, damals als ihr Gesang noch gegen Gelbsucht geholfen hat. In Belgien wurde den Gelbsüchtigen empfohlen, eine Goldammer so lange anzustarren, bis sie die Krankheit aufnimmt und tot vom Zweig fällt. Heute sind die Goldammern zu selten und auch zu scheu, als daß ein Leberkranker mit aufgedunsenem Bauch sich ihnen nähern könnte, um sie fest in den Blick seiner gelben Augen zu nehmen. Ich gehe den Weg am Zwochauer See vorbei, die Angler sind schon da und sitzen zusammengesunken in ihren Campingstühlen. Ich mag die Angler, sie sprechen einen nicht an und halten Ruhe. Die Goldammer hat ihr Revier in dem Buschland zwischen Zwochauer See und Werbeliner See, ich kann sie schon hören in der Ferne. Ihr Gesang ist mit den unterschiedlichsten Ausrufen unterlegt worden: Wie, wie, wie hab‘ ich dich lieb. Oder: Michel, Michel, friß Dreck! Oder: Give me a little of bread, and no cheese! Oder: Wie ist die Welt so schön! Ein volkstümlicher Vogel, aber heute meidet er den Menschen, und ich muß mich auf verschlungenen Wegen anschleichen. Aber dann komme ich ihm nah genug, ich nehme den Gesang der Goldammer auf, eine Dorngrasmücke drängt sich ins akustische Bild …

Es gibt noch andere Ammern hier im Gebiet. Die Grauammer, ein großer, etwas plumper Vogel, über den es wegen seines unscheinbaren Gefieders keine Heilsgeschichten zu erzählen gibt. Aber ich mag seinen Gesang, er ist zurückhaltend, hat etwas von einem Windspiel, als würde jemand aus Langeweile mit einem Schlüsselbund klimpern.

Auf dem Rückweg höre ich noch eine Rohrammer. Sie ist mir sympathisch wegen ihres unbeholfenen Gesangs, von dem die Redensart vom schimpfenden Rohrspatz stammt. Dabei ist sie ein ausgesprochen hübscher Vogel mit ihrem schwarzen Kopf und dem braun gemusterten Rücken. Außerdem ist sie hier im Gebiet einer der ersten Vögel im Jahr, die singen. Ein Frühlingsbote. Der Frühling ist jetzt vorbei, der Vogelgesang ist schon weniger geworden.

bemtevi