04:45 Uhr – 07:15 Uhr
12 °C, bedeckt, mäßiger Wind.
Jetzt im Juni hat der Leipziger Auenwald an manchen Stellen tatsächlich etwas von einem Urwald, dunkelgrün und undurchdringlich, abgestorbene Bäume werden von rankenden Pflanzen überwuchert. Die Vögel singen versteckt in den Baumkronen oder im Unterholz, nur manchmal zeigt sich ein Buchfink, ein Kernbeißer oder ein Gartenrotschwanz auf einem Weg. Es ist nicht nur schwierig, die Vögel zu sehen, auch ihre Gesänge lassen sich nur schwer auseinanderhalten. Man kann sie nicht orten, die Stimmen überlagern sich, der gleiche Gesang kommt aus unterschiedlichen Richtungen. Es gibt Vögel, die andere imitieren, die Singdrossel nimmt Rufe eines Mäusebussards auf, der Gelbspötter ruft „tschak-tschak“ wie eine Wacholderdrossel, ein Star ahmt einen Pirol nach, manchmal sogar einen Frosch. Der kleinste Vogel singt am lautesten, der Zaunkönig, nicht viel größer als mein Daumen, einmal habe ich ihn heute entdeckt wie er mit hochgerecktem Schwanz auf einem Baumstumpf stand und laut schmetterte.
Man kann das Gefühl bekommen, der Zaunkönig ist der häufigste Vogel im Wald, so drängt sich sein Gesang überall in den Vordergrund. Andere Vögel sind zurückhaltender, die Baumläufer zum Beispiel, die wie Mäuse in Spiralen die Baumstämme nach oben huschen und dabei nur ab und zu ein leises „tüt“ vernehmen lassen. Und auch der Kernbeißer, einer der prächtigsten Vögel im Wald, singt kaum und ruft nur manchmal schrill „zieck“. Der Gesang des Buchfinken dagegen ist allgegewärtig. Manchmal läßt sich einer zum Trinken an einer Pfütze nieder, mit blaugrauer Kappe, moosgrünem Rücken und rotbraunem Bauch, dann schaut er auf und entdeckt mich, wie ich langsam den Weg entlang auf auf ihn zukomme. Er regt sich nicht, doch sein Gesang ist überall um mich her. Ich bleibe stehen, jetzt fliegt er fort, kurz wird es still, ich gehe weiter und hinter mir beginnen die Vögel wieder zu singen.