04:45 Uhr – 07:45 Uhr
16-20°C, heiter bis wolkig, mäßiger Wind.
Es gibt ein Album von Jez Riley French das heißt „Audible Silence“, hörbare Stille, darauf sind Aufnahmen von Geräuschen, die in Gebäuden versteckt sind, Heizungen, Belüftungssysteme, die Geräusche in leeren Räumen, in Treppen. Das, was man nicht wahrnimmt, wenn man nicht hinhört, den Geräuschen nachgeht, sich darauf konzentriert. Mir gefällt der Ausdruck hörbare Stille. Natürlich geht es nicht darum, Stille aufzunehmen, genausowenig wie man in den Himmel schaut, um das Nichts zu sehen. Aber es geht um Konzentration und es geht um Abwesenheit, Abwesenheit von Lärm, Konzentration auf Geräusch. Lärm, was ist das? Das kommt darauf an: Startende Flugzeuge machen immer Lärm, oder rasende Motorräder, menschliche Stimmen sind nur manchmal Lärm. Ich sitze auf meinem Klapphocker an dem kleinen Tümpel am Südende des Werbeliner Sees, das Mikrofon 8 oder 10 m weit weg, ich möchte nicht meinen eigenen Lärm aufnehmen, den ich produziere, wenn ich mich rege und meine Hose raschelt, oder wenn mein Bauch knurrt. Ich möchte diesen Ort aufnehmen, ein akustisches Bild des Tümpels in diesem Moment, den Kuckuck, die Dorngrasmücke, die Goldammer, den Drosselrohrsänger, die Krähen und Gänse, die manchmal vorbeifliegen. Es ist schwierig, dieses Bild aufzunehmen, weil die Tonaufnahme eben nicht nur ein Augenblick ist. Es ist schwierig die Minuten, für eine Tonaufnahme zu finden, in denen dieser Ort nicht übertönt wird vom Lärm eines startenden Flugzeugs oder dem Dröhnen eines Motorrads.
Was ich aufgenommen habe, ist nicht das, was ich gehört habe. Aber vieles habe ich nur gehört, weil ich es aufgenommen habe. Weil ich zwanzig Minuten still sitzen und zuhören mußte, warten auf die Minuten ohne Lärm, auf die Stille, die ich hören kann, weil der Kuckuck ruft. Dann gehe ich weiter zum Werbeliner See, den kleinen Pfad hinunter, den Wildschweine getreten haben. Ich sitze und nehme auf, das Geräusch eines fliegenden Kormorans, den Wind in den Sträuchern. Ich sitze und sehe vor mich hin, entdecke drei verschieden Spinnenarten und eine kleine blaue Libelle. Die Aufnahme gibt auch diesen Ort nicht wieder, sie nähert sich an.
Auch die Spinnen machen Geräusche, ganz sicher, wenn sie über ihr Netz klettern, das wird ein Surren sein, ein hohes Surren, wie wenn ein Haar gespannt und angezupft wird. Aber wie nimmt man das auf, wie hört man das? Ich lasse die Unterwassermikrofone ins Wasser, das ganz regungslos in der Sonne glitzert. Hier kann ich die Stille aufnehmen, auf dem Werbeliner See fahren keine Boote, schwimmt nur selten ein Hund. Ich kann die Insekten unterwasser hören; ich denke, es sind Insekten, gesehen habe ich sie noch nicht.
Die Stille ein Geräusch, das stimmt nicht. Die Stille ist kein Geräusch, die Stille ist die Abwesenheit von Lärm. Das Dröhnen, das uns umgibt, fällt uns erst auf, wenn wir auf die Goldammer hören. Ein Fisch springt aus dem Wasser, platscht und zwischen dem Schilf singen die Wasserkäfer.